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Gewebe – Der Leica digicam Weblog

Die Berliner Fotografin Sabine Wild beschäftigt sich seit Langem mit Architekturstudien. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten, die noch bis zum 9. September 2023 in der Leica Galerie Wien ausgestellt werden, sind Particulars aus urbanen Landschaften wie Hochhausfassaden. Ihre Prints entwickelt die Künstlerin mittels Webtechnik weiter, indem sie zwei identische Motive auf handwerkliche Weise miteinander verwebt. Mit dieser Technik entstehen facettenreiche Unikate mit einer 3-D-Struktur, die die digitale Fotografie auf einzigartige Weise mit analogen Elementen anreichert. Hier spricht sie darüber, welche Ideen hinter ihren Bildern stehen und inwieweit ihre Arbeiten einen Rückgriff auf die Anfänge der digitalen Fotografie darstellen.

Sie sind bekannt für Ihre Architekturstudien, insbesondere in Megacities.
Mich haben Megacities schon immer fasziniert; die von mir besuchten Städte wie New York, Hongkong, Shanghai, Peking, Tokio oder Chicago erschrecken und faszinieren mich zugleich aufgrund ihrer gigantischen Ausmaße. Gleichzeitig üben ihre Hochhäuser und Skylines eine starken Reiz auf mich aus.

Wie kamen Sie auf dieses Themenfeld?
Während meines Studium hatte ich viele Jobs in Architekturbüros, und im Anschluss daran habe ich fünf Jahre für die Bundesarchitektenkammer gearbeitet – dadurch entstand natürlich ein intensiver Kontakt mit dem Gebauten. Nachhaltiges und ökologisches Bauen, die humane Gestaltung von Stadträumen, Rückbau, Leerstand, Verkehrsströme, parasitäre Architektur, temporäre Architektur – all dies waren immer Themen, die mich bei meiner Arbeit begleitet haben. Die Relevanz, sich mit dem Leben dort in sozialer, stadtplanerischer und ökologischer Hinsicht zu befassen, begreift man, wenn man sich anschaut, dass in absehbarer Zukunft ein großer Teil der Weltbevölkerung in Megacities leben wird.

Ihre Bilder sind generell durch den Kontrast von Schärfe und Unschärfe bestimmt. Bitte erzählen Sie uns etwas über diesen visuellen Ansatz.
Bei den früheren digital verfremdeten Arbeiten breche ich die Gebäudetektonik auf, fragmentiere die Fassadenstrukturen und wirbele den urbanen Stadtraum durcheinander. Vorder- und Hintergrund verlieren ihre perspektivische Hierarchie, alles löst sich auf. Ich versuche, diesen oben erwähnten Eindruck an den Betrachter weiterzugeben, sodass er das Flirren der Megacities förmlich spürt, ihre Bewegung, Dynamik, aber auch ihre Brüchigkeit und Unbeständigkeit. Die scharfen Partien halten das Bild (oder die Tektonik der Gebäude) keinesfalls zusammen, sondern sie sind selbst porös. In den unscharfen Partien meiner Fotografien scheint alles zu zerfließen und sich aufzulösen. Dadurch ergibt sich so etwas wie eine Realitätsverschiebung mit einem leicht dystopischen Charakter.

In Ihren aktuellen Bildern konzentrieren Sie sich weniger auf Skylines oder Panoramen, sondern eher auf Particulars, hauptsächlich auf Fassaden. Welche Idee steht dahinter?
Tatsächlich habe ich meinen Blick konzentriert; ich versuche weniger, den ganzen Stadtraum zu erfassen. Das magazine sicherlich auch an der Technik des Webens liegen. Dadurch, dass ich eine Fotografie zweimal ausdrucke, sie einmal in horizontale und einmal in vertikale Streifen zerschneide, setze ich mich automatisch mit den Particulars des Fotos auseinander. Häufig schneide ich entlang der stürzenden Linien einer Fassade, die ich mit Photoshop bewusst nicht korrigiere, weil sie im Verweben eine stärkere Dynamik entfalten. Mit der Konzentration auf zum Beispiel Fassadendetails versuche ich, etwas dahinter zu entdecken.

Bitte sagen Sie etwas darüber, wie Sie Ihre Bilder bearbeiten.
Durch das Zerschneiden, neu Verweben und Zusammensetzen löse ich wie auch zuvor bei den digital abstrahierten Motiven die architektonischen Strukturen und perspektivischen Hierarchien auf. Durch das Einschieben der Streifen des zweiten Prints in den ersten entsteht jeweils ein Versatz von wenigen Millimetern. Die eingewebten Streifen wiederholen das Bild zwar, aber an anderer Stelle, als würde man auf ein Bild mit riesigen Pixeln schauen, bei dem der Ausschnitt derart vergrößert ist, dass der Betrachter nichts mehr erkennt. Oder als wären zwei identische Musikstimmen falsch synchronisiert, sodass die zweite Stimme immer weiter hinterherhinkt und ein disharmonischer, aggressiver, stakkatoartiger Rhythmus entsteht.

Auch in den Bildern der Wiener Ausstellung arbeiten Sie mit der Methode der Abstraktion.
Ich denke, dass die Technik des Verwebens einer ähnlichen Idee folgt wie bei meinen digital verfremdeten Fotografien, nämlich den mimetischen Charakter der Fotografie zu unterwandern und ein gewisses Maß an Abstraktion zu erlangen. Beim Weben bleibe ich allerdings näher am Originalmotiv, das vor dem Verweben nicht verändert wird; die Abstraktion ist subtiler.

Ihre Bilder wirken nahezu „verpixelt“.
Dieser Effekt entsteht dann, wenn ich sehr regelmäßige Streifen schneide und miteinander verwebe, sodass das Bild aussieht, als würde man ein digitales Foto viel zu groß ausdrucken. Allerdings sind die als einzelne Pixel erscheinenden Bildstellen nicht unscharf, aber der Betrachter hat dennoch das Gefühl, dass er das Bild erst erkennen kann, wenn er einen bestimmten Abstand zum Motiv einnimmt.

Vor welchen Entscheidungen stehen Sie, wenn Sie die Bilder verweben?
Für mich ist es sehr reizvoll, das eigentlich sehr regelmäßige Verfahren des Webens zu unterlaufen und seine Regeln zu brechen. Was zeige ich, was verdecke ich? In welche Richtung soll sich das eingewebte Bild verschieben? Nach oben, nach hyperlinks, nach rechts? Gap ich mal einen Streifen aus dem hinteren Teil des Fotos nach vorn? Oder webe ihn auf dem Kopf stehend ein? Oder verwebe ich nur ein kurzes Stück, sodass die Streifen lose über dem unteren Motiv liegen?

Sabine Wild wurde 1962 in Padua, Italien geboren geboren und lebt und arbeitet seit 1985 in Berlin. Sie studierte Germanistik, Linguistik und Spanisch in Bielefeld, Münster, Köln und Berlin. Seit 2003 ist sie als freie Fotografin tätig. Von 2007 bis 2008 besuchte sie die Ostkreuzschule für Fotografie und wurde bei Jonas Maron ausgebildet. 2005 wurde sie Mitgründerin der Galerie en passant, seit 2016 ep.modern. 2008 warfare sie Initiatorin der Südwestpassage Kultour, Kulturrundgang in Friedenau. Von 2009 bis 2014 warfare sie Jurymitglied der Stiftung Kunstfonds, Bonn. Ihre Werke wurden vielfach im In- und Ausland gezeigt. Mehr über Ihre Fotografie finden Sie auf ihrer Webseite und ihrem Instagram-Account.

Sabine Wild: Gewebe: Ausstellung in der Leica Galerie Wien, vom 16. Juni bis zum 9. September 2023 im Rahmen der Ausstellung Altering Views (neben Electrical Downtown von Jon Ball und Powerlines von Fred Mortagne)

Leica M.

Die Leica. Gestern. Heute. Morgen.




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